Dienstag, 15. November 2011

Druck als Zwangsmittel: zwei Roma Familien werden gezwungen „freiwillig“ auszureisen

Diese Woche verabschieden wir uns von zwei Familien, die wir im Sommer 2010 in der Erstaufnahmeeinrichtung Horst/Nostdorf kennengelernt hatten. Sie reisen „freiwillig“ aus, weil sie keine andere Wahl haben. Es ist anscheinend die Definition von den deutschen (und europäischen) Behörden: freiwillig heißt keine weitere Wahl. Beide Familien haben mit Kraft für ein Bleiberecht für Roma gekämpft und haben an dem politischen und sozialen Leben hier teilgenommen. Z. Familienvater von zwei kleinen Jungs ist in Deutschland geboren und spricht perfekt Deutsch. Er dachte, Deutschland würde ihn und seine Familie aufnehmen. Aber vor dem Druck der Ausländerbehörde, vor der Erniedrigung die er jede 10 Tage vor dem Sachbearbeiter aushalten sollte, vor der ewigen Angst in der Nacht abgeschoben zu werden, hat er entschieden mit seiner 8 Monate Schwanger Frau zurückzukehren.

Ausreisepflicht aber es wird "freiwillige Rückkehr" genannt
Bei der Familie B. in der Unterkunft in Billstieg herrscht eine traurige und seltsame Stimmung: Familienmitglieder und Freunde kommen den ganzen Tag vorbei um sich bei den 6 Zurückkehrende zu verabschieden. Sie werden an dem nächsten Tag mit dem Bus nach Makedonien fahren. Sie haben ebenfalls die Papiere zur freiwilligen Rückkehr unterschrieben. Obwohl einen tiefen und kalten Winter in Serbien, Kosovo und Makedonien anfängt, werden viele Roma Familien aus Deutschland in diesen Ländern abgeschoben. Die Familie B. hat versucht durch politische Mobilisierung und rechtliche Mittel in Hamburg zu bleiben. Die 2 älteste Kinder, jeweils 17 und 16 haben innerhalb von ein paar Monaten hervorragend Deutsch gelernt, haben sich in ihre Schule integriert, haben viele Freundschaften in Hamburg geschlossen.
Aïda. die älteste Tochter zeigt uns das Zimmer wo alle Sachen schon gepackt sind. Eine dutzende riesige Taschen steht am Boden: die Familie muss wieder aufbrechen, wieder alles packen und alles verlassen. „Ich hatte bis jetzt nicht richtig festgestellt, dass wir tatsächlich fahren. Das wird langsam traurig das Ganze…“ Als wir Aïda kennengelernt haben, sprach sie kein Wort Deutsch. Sie stand immer da mit einem grinsenden Gesicht aber verstand nicht was die Leute sagten. Nach 9 Monaten Schulbesuch, Aïda kann sich auf Deutsch problemlos verständigen. Sie hat sehr gute Beziehungen zu ihrer Schulkameraden und Lehrern aufgebaut und sie kennt alle in Billstieg „Wir sind alle Freunde“.
Heute Abend wird in Billstieg niemand gut schlafen können

Die Jugendliche in Billstieg verlieren wieder zwei gute Freunde...


Aïda hat während dem ganzen politischen Prozess um ein Bleiberecht für Roma mitgemacht: sie war bei den Demonstrationen, vor dem Petitionsausschuss, sie hat Interviews mit anderen Roma Jugendlichen gemacht und trotz allem muss sie weg. Sie will nicht vor der Kamera sprechen: „Ich habe so viel gemacht, wir haben so viel gekämpft und was hat das gebracht? Wer hat das gehört? Es ist sowieso egal jetzt, wir fahren eh weg…“ Sie macht sich große Sorgen wegen der Schule in Kocani, die Stadt wo sie herkommt. „Ich werde bald 18. Ich bin mir davon sicher: ich habe keine einzige Chance ein Schulplatz zu bekommen. Es ist so schade, ich hätte so gerne weiter Deutsch gelernt, es ist unfair…“ Darüber hinaus, wenn die Familie wieder in Makedonien ankommt, werden alle Gründe warum sie in Deutschland nach Schutz gesucht haben, nicht einfach verschwunden sein: Zwangsheirat wegen Geldschulden, Diskriminierung in der Verwaltung und auf dem Arbeitsmarkt usw.
Deutschland zwingt durch verschiedene Mittel, von Abschiebungen bis zum Druck zur freiwilligen Rückkehr, die Roma Familien auszureisen. Anstatt die Familien zu unterstützen und von den unglaublichen Talente und Ressourcen von diesen und ihren Kindern zu genießen, Hamburg schiebt ab und die meisten Politiker gucken einfach woanders. Diese Familien gehören hierhin, die Eltern waren schon hier in der 90er, die Kinder sind hier geboren, sie haben Deutsch gelernt und sich in der Gesellschaft integriert.

Ein Leben hier schnell in Taschen gepackt...

Wir wollen unsere Solidarität mit beiden Familien sagen und die Abschiebepolitik Deutschlands und insbesondere Hamburgs wieder denunzieren. Wir wollen die perverse „freiwillige Rückkehr“ denunzieren, die die Familien dazu zwingt Deutschland zu verlassen obwohl sie das gar nicht wollen. Wir werden weiterhin Kontakt mit diesen Familien halten, sowie mit denen, die schon abgeschoben worden sind und nicht schweigen.
ALLE BLEIBEN !!!

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